Die Welt in Bad Ischl

Mit dem Zuschlag zur Kulturregion 2024 richtete sich der Fokus der Welt erneut auf ein verschlafenes Städtchen zwischen Bergen, Seen und knackgrünen Wiesen. Keine Überraschung für all jene mit einem Faible für das beschauliche Zubringen von Zeit, für die Freunde von ausgedehnten Spaziergängen und die Liebhaber von Kaffeehaus, Solebädern und dem Hauch der Vergangenheit.
Ich kennen Bad Ischl, seit ich denken kann, und bin dem nostalgischen Charme des ehemals kaiserlichen Sommerfrische -Hotspots verfallen. Was besonders schön ist: Man kann bei jedem Besuch dort etwas Neues und Überraschendes entdecken.
So zum Beispiel auf dem historischen Soleweg zwischen Ischl und Lauffen. Zunächst führt er über Esplanade und Sisi-Park vorbei an einer Trabrennbahn und passiert eine Hand voll klotziger Betonbauten der Salzkammergut Tourismusschulen. Danach setzt sich der Weg als schmaler Waldpfad zwischen Bäumen und entlang des Traunufers fort. Wunderschön, denkt sich der Erholung suchende Spaziergänger, nichts als unberührte Natur. Doch plötzlich wird er linksseitig eines ungewöhnlichen architektonischen Gebildes gewahr. In einer Mischung aus Sternwarte und Hexenhaus schiebt sich Ischls bemerkenswertestes Bauwerk in den Blick:
Die Villa des Berliner Theaterkritikers und Dramatikers Oskar Blumenthal. In ihr kam die Welt nach Bad Ischl.

Ab 1890 verbrachte der erfolgreiche – und nicht zuletzt gefürchtete – Theaterkritiker des Berliner Tagblatts regelmäßig die Sommermonate in der oberösterreichischen Sommerfrische. Bei seinem Besuch der Weltausstellung in Chicago 1893 entdeckte Blumenthal schließlich das Haus seiner Träume – ein hölzernes Fertigteilhaus, entworfen von dem Berliner Architekten Johannes Lange. Nach Ende der Weltausstellung wurde das Haus, dessen komplexes Stecksystem ohne Schrauben und Nägel auskommt, wieder auseinander gebaut und per Schiff nach Europa verfrachtet. Im Hafen Rotterdam umgeladen auf einen ganzen Eisenbahnzug kam das Haus schließlich am 19. März 1895 in Bad Ischl an, um am Traunufer Richtung Laufen schließlich wieder zusammengebaut zu werden. Unter den zahlreichen Ischler Sommerfrische-Gästen war die Villa Blumenthal damit der am weitesten gereiste Gast. Insgesamt drei Mal hatte sie den Atlantik überquert: ein Mal als Rohmaterial und zwei Mal als Villa, in ihre Einzelteile zerlegt.

Es muss was Wunderbares sein…

Oberkellner Leopold, Im weißen Rössl


Wie in vielen anderen Künstlervillen auch gaben sich in Blumenthals ungewöhnlichem Refugium Adel, Größen aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Künstlerschaft die Klinke in die Hand. Inspiriert von diesem eigenartigen Setting aus schillernden Persönlichkeiten, spektakulär schöner Landschaft und trotzig gepflegter Tradition verfasste Blumenthal 1896 hier auch das Lustspiel „Im weißen Rössl“, das in der später vertonten Fassung von Ralph Benatzky weltweite Berühmtheit erlangte.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging für Oskar Blumenthal eine tiefgreifende Veränderung einher. Seine Frau erkrankte ernstlich, sodass er sich 1915 entschloss, sein Sommerfrische-Refugium zu verkaufen und nach Berlin zurückzukehren. 1917, nur wenige Wochen nach dem Tod seiner Frau, starb auch Oskar Blumenthal.
Seine Villa aus kanadischer Pechkiefer wechselte bis heute mehrmals die Besitzer, unter ihnen auch eine jüdische Familie, die 1937 in die USA emigrierte. Was gleich geblieben ist, ist der Charme des Außergewöhnlichen, den Blumenthals Villa ungemindert verströmt.
In Vergessenheit geraten ist dagegen der Schöpfer des ungewöhnlichen Bauwerks. Die Spur des Architekten Johannes Lange verliert sich mit der Meldung, er sei im Ersten Weltkrieg an der Front in Flandern gefallen.